Bei den folgenden Informationen handelt es sich um Auszüge aus dem Schlussbericht des Förderprojekts „Steinkrebse im Appenzellerland“ (Kreienbühl, T., & Müller, J., 2025), welches von den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden in Auftrag gegeben und gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt finanziert wurde.
Übersichtskarte zu den verschiedenen Krebspopulationen im Appenzellerland (blau = Steinkrebse, rot = Edelkrebse; Stern = Wiederansiedlung, Dreieck = Fliessgewässer, Kreis = Weiher).
In der Schweiz kommen ursprünglich drei Flusskrebsarten vor, der Edelkrebs (Astacus astacus), der Dohlenkrebs (Austropotamobius pallipes) und der Steinkrebs (Austropotamobius torrentium). Einst waren die Flusskrebse in vielen Fliessgewässern und Seen im Alpenraum reichlich vertreten. Doch leider nahm der Bestand und die Ausbreitung aller heimischen Krebse in den letzten Dekaden rasant ab. Alle einheimischen Flusskrebse werden darum im Anhang der Verordnung zum Bundesgesetz über die Fischerei (VBGF) als bedrohte Arten gelistet. Der Steinkrebs, der im Appenzellerland vorkommt, gilt als stark gefährdet, der Edelkrebs als gefährdet.
Im Appenzellerland kommen die beiden Arten Stein- und Edelkrebs vor (links resp. rechts).
Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig: chemische und biologische Verunreinigungen der Fliessgewässer, Trockenheit, Wasserentnahmen oder die fortschreitende Verbauung der Fliessgewässer spielen in kleinen Gewässern eine wichtige Rolle. In den grossen Fliessgewässern und den Seen ist die durch invasive amerikanische Flusskrebse eingeschleppte Krebspest (Aphanomyces astaci) entscheidend am Verschwinden der einheimischen Arten beteiligt.
Im Appenzellerland stiessen die Flusskrebse bis im Jahr 2017 auf wenig Beachtung und es lagen nur spärliche Informationen zur Verbreitung der Arten sowie zum Zustand einzelner Populationen vor. Dies hat wohl mehrere Ursachen:
Fakt ist, dass die verbliebenen Restpopulationen von Steinkrebsen oft nur sehr klein, fragmentiert und isoliert sind. Das macht sie äusserst anfällig für akute Gewässerverschmutzungen, z.B. durch Gülleunfälle. Ein solcher Unfall führte im Januar 2020 zu einem Teilausfall der letzten grossen, vernetzten Flusskrebspopulation im Appenzellerland. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, wie wichtig geeignete Massnahmen zum Schutz und der Förderung von einheimischen Flusskrebsen sind.
Gemäss Bundesgesetz über die Fischerei (BGF, SR 923.0) ist die natürliche Artenvielfalt und der Bestand einheimischer Fische, Flusskrebse und Fischnährtiere sowie deren Lebensräume zu erhalten, zu verbessern oder nach Möglichkeit wiederherzustellen (Art. 1 Abs. a BGF). Zudem sind bedrohte Arten und Rassen von Fischen und Krebsen zu schützen (Art. 1 Abs. b BGF). Gemäss Anhang 1 der Verordnung zum BGF (VBGF, SR 923.01) gehört der Steinkrebs zu den einheimischen und somit schützenswerten Krebsarten. Gemäss Art. 7 Abs. 2 BGF ergreifen die Kantone nach Möglichkeit Massnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Wassertiere und Wiederherstellung zerstörter Lebensräume.
Um dem dramatischen Rückgang von einheimischen Flusskrebsen entgegenzuwirken, hat das Bundesamt für Umwelt in Zusammenarbeit mit den Kantonen den Aktionsplan Flusskrebse Schweiz ins Leben gerufen. Darin werden verschiedene Massnahmen vorgeschlagen, um einheimische Arten wie den Steinkrebs zu schützen und zu fördern.
Das grundlegende Element der Umsetzungsstrategie ist das Dokumentieren der Situation im Feld und die Sicherstellung eines Monitorings. Dazu gehören unter anderem Kartierungsprojekte, mit deren Hilfe in Vergessenheit geratene Populationen wiederentdeckt werden können oder die regelmässige Überprüfung bekannter Vorkommen. Als geeignete Massnahme zur Förderung von einheimischen Krebsen schlägt der Aktionsplan auch Wiederansiedlungen vor. Auf private Initiative ist deshalb im Jahr 2017 im Appenzellerland eine Aufzuchtstation für Stein- und Edelkrebse entstanden. Hier wurden bereits erfolgreich Steinkrebse gezüchtet, deren Elterntiere der Steinkrebspopulation der Schwarz entnommen werden konnten.
Im Jahr 2017 war im Kanton Appenzell Innerrhoden je eine Steinkrebspopulation in der Schwarz sowie in der Sitter bekannt. Davon war die Population in der Sitter seit dem Jahr 1985 nicht mehr nachgewiesen worden und galt daher als möglicherweise ausgestorben. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden waren ein Edelkrebsvorkommen in einem Weiher sowie eine Steinkrebspopulation im Vorderland dokumentiert.
In Zusammenarbeit mit den beiden Kantonen sowie dem WWF und finanziert durch den Ökofonds der St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke (SAK) wurde 2017 das Projekt Steinkrebsinventar Appenzellerland (2018 – 2020) zur Kartierung der Steinkrebse des Appenzellerlands konzipiert (Kreienbühl & Müller, 2021). Dabei wurden während drei Jahren mit Freiwilligen nächtelang Bäche abgelaufen, um Krebse zu suchen und Habitataufnahmen zu machen. Diese Kartierungen wurden im Jahr 2020 abgeschlossen. Im Rahmen des Projekts konnten insgesamt sechs Steinkrebs- sowie vier Edelkrebspopulationen neu entdeckt oder bestätigt werden.
Das Folgeprojekt Steinkrebse Appenzellerland (2020 – 2024) beruhte auf den Grundpfeilern «Wiederansiedlung» und «Monitoring». Im Rahmen des Monitorings wurden die Ausbreitungsgrenzen der bekannten Steinkrebspopulationen sowie des Edelkrebsbestands an der Sitter untersucht und die nahegelegenen Gewässer nachkartiert. Zusätzlich wurden an der Schwarz mehrere Bestandesaufnahmen durchgeführt, deren Resultate eine Einschätzung des Zustandes und der zukünftigen Entwicklung der Population erlauben. Damit konnten auch die langfristigen Auswirkungen eines Gülleunfalls aus dem Jahr 2020 beurteilt und dokumentiert werden. Schliesslich wurde ein Monitoring im Zusammenhang mit Trockenheit durchgeführt, Massnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit umgesetzt sowie eine Nachzucht von Steinkrebsen betrieben und laufend optimiert.
Teil des Projekts waren auch zwei erfolgreiche Wiederansiedlungsversuche: Nach eingehenden Potentialanalysen wurden zwei Gewässer ausgewählt, in denen mehrere Initialbesätze stattfanden: In den Wiesenbach (EZG Glatt) wurden während zwei Jahren Steinkrebse aus dem Andwiler Dorfbach (Kanton St. Gallen) umgesiedelt. Zwei Erfolgskontrollen in den Jahren 2023 und 2024 waren positiv. Der Rödelbach (EZG Sitter) wurde während der gesamten Projektdauer mit Jungkrebsen aus der Nachzucht in der Flusskrebs-Station Mehlersweid besetzt. Im Jahr 2024 konnte erstmals ein ausgewachsener Krebs im Rödelbach nachgewiesen werden.
Erfreulicherweise konnte im letzten Projektjahr eine weitere bisher unbekannte Steinkrebspopulation in Stein (AR) nachgewiesen werden. Diese Entdeckung ist insofern speziell, da der Bestand nebst der Kaubachpopulation erst den zweiten aktuellen Nachweis von Steinkrebsen im grossflächigen Einzugsgebiet (EZG) der Sitter darstellt. Sie bestätigte die Vermutung, dass es im Appenzellerland noch immer unentdeckte Populationen gibt und lässt auf weitere Überraschungen hoffen.
Im Rahmen des Projekts Flusskrebse Appenzellerland (2025 – 2029) sollen die bisherigen Bemühungen weitergeführt und Wissenslücken gefüllt werden: